Aktelle Situation der Versorgungsproblematik

Leben als EMAH

Um das Verständnis zu wecken, wie es ist, mit einem angeborenen Herzfehler zu leben und mit welchen Widrigkeiten wir teilweise zu kämpfen haben, soll zuerst etwas Grundsätzliches zu angeborenen Herzfehlern gesagt werden:

Angeborene Herzfehler erstrecken sich von geringen bis hin zu sehr schweren Fehlbildungen des Herzens und der zu- und abführenden großen Gefäße. Die meisten Herzfehler fallen vor oder kurz nach der Geburt auf. Geringe Fehlbildungen (z.B. kleiner ASD/VSD – im Volksmund „Loch im Herzen“) können aber auch erst nach Jahrzehnten im Erwachsenenalter bei Beschwerden oder zufällig auffallen. Mit einem geringen und mäßig schweren angeborenen Herzfehler kann man in der Regel nach Korrektur bis ins hohe Alter ein weitgehend normales Leben führen, einer normalen Arbeit nachgehen oder eine Familie gründen – wie jeder „Gesunde“ auch. Je schwerer der zu Grunde liegende Herzfehler jedoch ist, desto schwieriger wird es mit Berufswahl, Familiengründung, aber teilweise auch schon mit dem alltäglichen Leben, da oft im Laufe der Zeit die Belastbarkeit eingeschränkt ist, Folgeoperationen benötigt werden oder auch Komplikationen auftreten. Bei schweren Herzfehlern (z.B. univentrikuläres Herz – d.h. es ist nur eine funktionsfähige Herzkammer vorhanden) ist auch häufig die Lebenserwartung reduziert. Hinzu kommt, dass man uns EMAH selbst mit schweren Herzfehlern im Alltag unsere „Erkrankung“ nicht unbedingt ansieht und daher manchmal das Verständnis für unsere nicht offensichtlichen, aber doch bestehenden Einschränkungen fehlt.

Aufgrund des medizinischen Fortschritts (Verbesserung der OP-Methoden etc.) nimmt die Zahl der EMAH auch mit komplexen (also “schweren”) angeborenen Herzfehlern immer weiter zu, da immer mehr Kinder (ca. 90%) auch mit solchen Herzfehlern das Erwachsenenalter erreichen. Zudem zeigen neuere Studien leider auch, dass selbst die EMAH mit einfachen Herzfehlern, die nach Korrektur als „geheilt“ galten, eine lebenslange medizinische Nachsorge benötigen. Dies rührt daher, dass es bei ihnen – trotz klinisch eigentlich weitest gehend beschwerdefreiem Leben – auch zu Komplikationen und Folgeerkrankungen (Herzschwäche, Lungenhochdruck etc.) kommen kann¹.

Auch konnte kürzlich in einer größeren Studie in Großbritannien gezeigt werden, dass Patienten mit angeborenen Herzfehlern (in diesem Falle wurden Patienten mit einfachen angeborenen Herzfehlern untersucht) eine erhöhte kardiovaskuläre Ereignisrate hatten als die Normalbevölkerung².

Dies führt dazu, dass für uns EMAH eine gute medizinische Versorgung über alle Bereiche essenziell ist.

Bereits erreichte Ziele für EMAH-Patienten

Für die medizinische Versorgung von uns EMAH Patienten wurde bisher schon eine recht gute Struktur geschaffen³:

  1. Niedergelassene Kinder- und Erwachsenenkardiologen: Sie haben über eine erweitere Ausbildung und Prüfung durch die Fachgesellschaften DGK, DGPK und DGTHC eine sogenannte „EMAH-Zertifizierung“ erworben und kennen sich daher auf dem Gebiet der EMAH-Patienten besonders gut aus.
  2. Schwerpunkt-Praxen: Hier hat die gesamte „Praxisstruktur“ eine Zertifizierung für die adäquate Versorgung von EMAH Patienten.
  3. Schwerpunkt-Kliniken: Hier hat die Klinik eine Zertifizierung, dass eine adäquate stationäre und ambulante Basisversorgung für EMAH Patienten gewährleistet ist.
  4. Überregionale EMAH-Zentren: Kliniken, in denen im Prinzip eine maximale stationäre Versorgung (OPs, Interventionen etc.) und ambulante Vor- und Nachsorge der EMAH Patienten, auch für seltene und komplexe angeborene Herzfehler durch ausgewiesene Experten (Chirurgen, Elektrophysiologen, Interventionalisten, etc.) erfolgt und in denen auch die medizinische Ausbildung der zukünftigen EMAH-Kardiologen erfolgt (bzw. erfolgen soll). Von diesen Zentren gibt es bundesweit 17.

Aktuelle Situation der Versorgungsproblematik

Auch wenn die Versorgung für uns EMAH-Patienten bereits sehr gut ist, gibt es derzeit aber doch noch Probleme in der lückenlosen Versorgung von EMAH-Patienten:

1. Kinderärzte dürfen in Deutschland per Gesetz selbstständig keine erwachsenen Personen behandeln, die Erwachsenenkardiologen kennen sich auf dem Gebiet der angeborenen Herzfehler wenig aus.

Warum das so ist und wieso das auch ein Problem für uns EMAH ist, soll im Folgenden erklärt werden:

Alle Ärzte und Ärztinnen absolvieren im Prinzip das gleiche Medizinstudium und dann das gleiche Staatsexamen. Danach muss eine Facharztausbildung absolviert werden, um selbstständig in einem Fachgebiet arbeiten zu dürfen. In unserem Fall sind hier für uns der „Kinderkardiologe“ (offizielle Bezeichnung Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkt Kinderkardiologie) und der „Erwachsenenkardiologe“ (offizielle Bezeichnung Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie) von Bedeutung. Da wir EMAH ja früher auch mal Kinder mit angeborenem Herzfehler waren, wurden wir zunächst von den „Kinderkardiologen“, also Fachärzten für Kinderheilkunde – Schwerpunkt Kinderkardiologie, behandelt.

Jedoch werden ja aus Kindern mit der Zeit Erwachsene – EMAH-Patienten. Das heißt, sobald das 18. Lebensjahr erreicht ist, sind formal/gesetzlich die Erwachsenenmediziner (also in unserem Fall der Facharzt für Innere Medizin/Kardiologie) für uns EMAH zuständig – soweit die Theorie. Die Kinderkardiologen dürfen uns als Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin nicht mehr weiter betreuen, da sie einen Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin haben und nicht für Erwachsenenheilkunde.

In der Ausbildung zum Facharzt “Innere Medizin/Kardiologie” gibt es zwar eine Ausbildung in den Grundlagen der internistischen Fächer. Eine strukturierte Ausbildung erfogt aber hauptsächlich im Rahmen der  erworbenen kardiologischen Krankheitsbilder. Weiterhin idt das Problem, dass  es zwar schätzungsweise 300.000 EMAH-Patienten gibt, deren Anzahl im Vergleich zu den erworbenen Herzerkrankungen dennoch sehr gering ist. Es gibt zwar Weiterbildungstellen für die Fachrichtung Innere Medizin/Kardiologie, so dass das Wissen zu angeborenen Herzfehlern in Erwachsenenalter durchaus zur Facharztweiterbildung gehört. Im „real life“ kommt aber nicht jeder werdende Erwachsenenkardiologe mit EMAHs soweit in Berührung, um diese komplexen Krankheitsbilder auch nach dem Erwerb des Facharztes für Innere/Kardiologie selbständig sicher behandeln zu können.

Im Gegensatz dazu kennen sich die Kinderkardiologen mit dem Verlauf, den Komplikationen und Folgeerscheinungen der angeborenen Herzfehler sehr gut aus, da sie die angeborenen Herzfehler von „klein auf“ betreuen. Leider dürfen sie als Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin aber keine erwachsenen Patienten betreuen.

Hinzu kommt, dass auch wir EMAH mit Zunahme des Lebensalters weitere internistische Probleme/Folgeprobleme sowie auch zusätzliche Herzerkrankungen und andere Erkrankungen erwerben können, die in unsere Grunderkrankung hineinspielen und diese verschlimmern können. Diese erworbenen Probleme werden wiederum in der Facharztausbildung Innere Medizin/Kardiologie eher gelehrt und sind auch Bestandteil des “real life” des Kardiologen. In der Facharztausbildung Kinder- und Jugendmedizin stehen dagegen die spezifischen Probleme im Kindesalter im Vordergrund.

So stehen wir in Deutschland vor allemhinsichtlich der EMAH-Versorgung mit niedergelassenen Ärzten vor dem Problem, dass vornehmlich die Erwachsenenkardiologen, die Fachärzte Innere Medizin/Kardiologie (für Erwachsene), EMAH behandeln sollen. Diese kommen – wie oben beschrieben – mit Patienten mit angeborenen Herzfehlern in ihrer Ausbildung kaum in Berührung. Daher haben sie  gerade bei komplexen Herzfehlern keine Erfahrung. Andererseits kennen sich die Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkt Kinderkardiologie, zwar mit den angeborenen Herzfehlern sehr gut aus, weisen aber Defizite in den Kenntnissen der erworbenen Erkrankungen des Erwachsenenalters auf. Außerdem dürfen sie als Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin EMAH Patienten nicht betreuen.

Zusammenfassend stehen uns EMAH also zwei Facharztgruppen für unsere Betreuung zur Verfügung, die beide jeweils Defizite in einer optimalen Versorgung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern aufweisen.

2. Es gibt noch keine richtige flächendeckende EMAH-Versorgung, d.h. die EMAH-Ärzte und Praxen sowie Schwerpunktkliniken und überregionale EMAH-Zentren sind regional sehr unterschiedlich verteilt.

Beispielsweise gibt es im Bundesland Baden-Württemberg derzeit 4 überregionale EMAH-Zentren, während es in den gesamten neuen Bundesländern insgesamt nur 2 gibt. Auch die ambulante Versorgung durch EMAH-zertifizierte niedergelassene EMAH-Ärzte ist regional sehr unterschiedlich, wobei auch hier wieder in den neuen Bundesländern eine Unterversorgung zu verzeichnen ist.

3. Der Nachwuchs an zertifizierten EMAH Ärzten ist relativ gering.

Die Ausbildung zum EMAH-Arzt ist nur an wenigen Stellen möglich. Es gibt kaum dafür vorgesehene „Ausbildungsstellen“. Daher ist die Ausbildung für Ärzte, die nicht von Anfang an an einem EMAH Zentrum arbeiten/gearbeitet haben, schwer zugänglich. Zudem bringt die Zusatzqualifikation derzeit keine wesentlichen finanziellen oder sonstige Vorteile für die Ärzte.

Lösungsansätze:

Mit der Einführung einer eigenständigen „Zusatzqualifikation EMAH“ für Kinder-und Erwachsenenkardiologen durch die jeweiligen Fachgesellschaften wurde für eine Verbesserung der Versorgung für EMAH Patienten vor allem im ambulanten Bereich gesorgt. Vor allem Kinderkardiologen haben sich dieser zusätzlichen Ausbildung unterzogen.

Da aber bisher diese Ausbildung nur durch die jeweiligen Fachgesellschaften „zertifiziert“ wurde, hat diese Zusatzqualifikation im Vergleich zu einem Facharzttitel keine Bedeutung für die „Berufsqualifikation“ im „Standesrecht“. Dies ist für die Erwachsenenkardiologen kein Problem, da diese als Fachärzte für Innere Medizin/Kardiologie sowieso uneingeschränkt Erwachsene hinsichtlich kardialer Erkrankungen behandeln dürfen.

Die Kinderkardiologen bleiben bisher aber trotz der EMAH-Zusatzqualifikation weiterhin im Standesrecht alleinige Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit der Schwerpunktbezeichung Kinderkardiologie, so dass auch diese trotz des Erwerbs der Zusatzqualifikation EMAH weiterhin keine EMAH behandeln dürfen.

Daher wurde jetzt im Rahmen der neuen Muster-Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer eine neue Zusatzweiterbildung Spezielle Kardiologie für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) geschaffen, welche dann nach entsprechender Ausbildung nicht mehr von den Fachgesellschaften zertifiziert, sondern von den Landesärztekammern als Zusatzbefähigung ähnlich der Schwerpunktbezeichung Kinderkardiologie nach erfolgreicher Prüfung erteilt wird. Mit dieser Zusatzweiterbildung soll erreicht werden, dass zumindest im Rahmen der EMAH Behandlung die Kinderkardiologen auch Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern behandeln können.

zur Autorin:
Assunta Schiebel
JEMAH-Mitglied

Referenzen

1) Neidenbach et al., Improving medical care and prevention in adults with congenital heart disease-reflections on a global problem-part I: development of congenital cardiology, epidemiology, clinical aspects, heart failure, cardiac arrhythmia. Cardiovasc Diagn Ther. 2018 Dec;8(6):716-724.

2) Saha et al., CV Morbidity in low-complexity ACHD population. Circulation 2019; 139:1889-1899

3) nach Kaemmerer, H., Breithardt, G.: Clin Res Cardiol: 95:76-84 Suppl 4 (2006)

Eine Liste aktueller EMAH-Ärzte ist auf der Webseite der Kinderherzstiftung zu finden.